Mario Pfeifer
7. Mai – 25. Juni 2023
Seit 2011 bereist Mario Pfeifer (*1981 in Dresden, lebt und arbeitet in Berlin) immer wieder die Westsahara, eine ehemalige spanische Kolonie an der Atlantikküste Nordwestafrikas. Bereits 1965 forderte die UN im Rahmen einer Resolution die Entkolonialisierung, verbunden mit einem Referendum über die Selbstbestimmung durch die dort lebenden Menschen. Zwar zogen die Spanier 1975 ab, doch überliessen sie im sogenannten Madrid Accord das gesamte Gebiet den Ländern Marokko und Mauretanien zur Aufteilung. Offiziell unterstützen die USA ebenso wie die EU die Resolutionen der UN, nichtsdestotrotz können diverse Länder bis heute Handelsvereinbarungen, die Hoheitsgebiet der Westsahara betreffen, ungeniert und unsanktioniert mit Marokko abschliessen.
Die vertriebene Urbevölkerung, der andauernde Konflikt und der Verkauf natürlicher Ressourcen durch eine unrechtmässige Besatzungsmacht ist der Hintergrund für die Präsentation von Deserted – Episode I im Oberlichtsaal. Die Thematik wird einmal kartografisch und einmal chronologisch aufbereitet; die wichtigsten historischen Fakten sind auf einer Zeitachse angeordnet, diverse Konfliktfelder wiederum auf einer Landkarte markiert. Ergänzend zeigt Pfeifer zwei Fotoserien, welche die Stadt Dhakla zeigen: Einmal die ursprüngliche Küstenstadt, die sich im heute besetzten Gebiet befindet, einmal das nach ihr benannte Lager in Algerien, welches die einst aus Dhakla ankommenden Menschen aufnahm und deshalb diesen Namen erhielt. Ebenfalls zu sehen ist eine neue Videoarbeit: In A Garden That Means More Than a Garden (2023) erzählt Taleb, der 1975 im Alter von fünf Jahren in ein Geflüchtetenlager kam und nach seinem Studium im Ausland dorthin zurückkehrte, von seinem Leben als Vertriebener, seiner Dankbarkeit für die Aufnahme und Unterstützung in Algerien und der Hoffnung, dass die Saharauis dereinst in ihr Heimatland zurückkehren mögen. Bei Taleb erschöpft sich diese Hoffnung dabei keineswegs in passiver Resignation, sondern treibt ihn an, die besseren Zeiten aktiv vorzubereiten: Als studierter Agrarwissenschaftler konzipierte er unter den denkbar schwierigsten Bedingungen in einer Wüste eine erfolgreiche Kleinkreislaufwirtschaft, mit welcher er genügend Nahrung für die Selbstversorgung produziert.
Im Seitenlichtsaal zeigt Pfeifer die Videoinstallation Cell 5: A Reconstruction (2022). Es geht darin um Oury Jalloh, Asylbewerber aus Sierra Leone, der am 7. Januar 2005 in einer Gefängniszelle der Polizeistation Dessau-Rosslau verbrannte. Bereits erste Nachstellungen des Brandverlaufs widersprechen der Behauptung, der Inhaftierte habe sich selber angezündet, doch werden 2008 die beiden diensthabenden Polizisten lediglich wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt; sie werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. In einem zweiten Prozess 2013 erhält der eine von ihnen immerhin eine Geldstrafe für seinen damaligen Befehl, den ersten Feueralarm zu ignorieren respektive auszuschalten, doch wird die Möglichkeit eines vorsätzlichen Mordes weiterhin ignoriert. Der Fall wird dank Familienangehörigen und Break the Silence / Initiative in Gedenken an Oury Jalloh immer wieder neu aufgerollt und Mario Pfeifer realisiert 2021 einen ersten Film zum Thema, in dem vor allem auf offenkundige Mängel der materiellen und visuellen Beweisführung hingewiesen wird. In Cell 5: A Reconstruction (2022) steht die erneute Nachstellung des Brandes im Mittelpunkt. In Zusammenarbeit mit Break the Silence / Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und dem Forensiker Iain Peck liess Pfeifer das Originalsetting erstmals detailgetreu nachbauen und ging bei der anschliessenden Nachstellung davon aus, dass der Inhaftierte mit einem Brandbeschleuniger übergossen und angezündet wurde, ausserdem die Türe während des Brandes offenstand. Im Gegensatz zu sämtlichen früheren Nachstellungen, deren Resultate eindeutig von der Wirklichkeit abwichen, war der Brandverlauf nahezu identisch mit jenem des 7. Januar 2005.
Herzlichen Dank für die Unterstützung der Ausstellung: KOW, Berlin.