Vera Palme
Diversion

22. März – 25. Mai 2025
Eröffnung 21. März, 18 Uhr

 

Diversion lautet der Titel einer neuen Serie von Malereien, die Vera Palme für diese Ausstellung geschaffen hat. Alle Bilder haben dasselbe Quer­format und bestehen aus dichten Ringeln in ver­schiedenen Grüntönen. Auf jedem Bild ist ein mehr oder weniger erkennbarer Pfeil zu sehen. Die Pfeile – soweit ihre Form überhaupt noch richtungsweisend sein kann – zeigen mal hierhin, mal dorthin, ohne jedoch auf etwas Bestimmtes zu zeigen. Insgesamt wirken sie ziemlich ver­wirrt. Ob Diversion (green olive) tatsächlich einen Pfeil zeigt, und dabei auf etwas zeigt, hängt bereits von Diversion (green 1), Diversion (green peach) und den anderen Diversions der Serie ab. Natürlich soll der Pfeil als Hinweissymbol auf etwas verweisen. Und wenn nicht der Pfeil, dann wenigstens das Bild. Dabei sollte er eher eine Vorwärts- als eine Rückwärtsbewegung anzeigen – geschweige denn ein rastloses Herumlaufen im Kreis.

Wie viele andere mache auch ich mir Sorgen um die Malerei. Wahrscheinlich sorge ich mich zu viel, und gleichzeitig bin ich es leid, mich um die Malerei zu sorgen. Denn wir wissen alle längst, dass sie nicht totzukriegen ist. Trotz der Verleumdung, sie sei selbstbezo­gen, habe ein zu grosses Ego oder sei unterwür­fig, bleibt sie standhaft. Sie hört nie ganz auf, sich selbst zu übertreffen, und nährt weiterhin den allgemeinen Glauben, dass gerade dieses Medium bestimmte erhabene Qualitäten in sich trägt – Ehrfurcht, Romantik, Schönheit, Wahrheit, Angst. Gleichzeitig konfrontiert die Malerei ihre Betrachter:innen mit der Ge­genwart, etwa durch bestimmte Eigenschaften, die Ausdruck zeitgenössischer Ordnungen sind – „Ikonen”, „Netzwerke” oder „Produkte”. Vera Palmes Werk greift eine ganze Menge dieser Zuschreibungen auf und breitet sie auf der Leinwand in Schichten über Schichten von Referenzen aus – Motiv, Farbe, Technik, For­mat, Hängung, also in nahezu allen Aspekten, die Malerei noch als Malerei definieren – nur um sich letztlich davon zu lösen. Auch Palme scheint unentschieden zu sein – oder besser gesagt – ist entschieden unentschieden. Sie legt es in ihren Bildern auf Enttäuschung an: Die Sehnsucht, die Projektion auf ein Sujet zerbröckelt, sobald wir erkennen, dass es bereits zerfallen ist – dass es im Zerfall gemalt worden ist. Oft malt sie, um die Umrisse ihrer Motive zu definieren und zugleich aufzulösen. Was das Bild tun soll, was wir von ihm erwarten, ist am Ende nicht mehr das, was es tatsächlich leisten kann. Darin liegt eine gewisse Erleichterung. Anstatt grossartig Gesten zu setzen, bleiben Palmes Bilder unge­klärt. Sie scheinen sich selbst zu steuern, um das hervorzubringen, was wir fälschlicherweise als ihre Vitalität wahrnehmen – was tatsächlich jedoch unser eigener Wahnsinn ist.

Einige Referenzen, die ihre Bilder heraufbe­schwören: das Braun von Rembrandt, Gothic Fiction und ihre Nachfolger wie der Groschenro­man, der Gaukler bei Bosch, eine Landschaft, gesehen von einem römischen Balkon aus, der Akt des Kopierens als solcher. Mal sind es offene Pinselstriche, mal kleine, dick aufgetragene Wirbel, dann wieder pastose, wie gealterte Schichten. Oft wirken die Bilder ihren Vorbil­dern gegenüber ein wenig unbeholfen – zu lang, zu krakelig, schief und roh. Sie sind, und sie wollen unzulänglich sein: Dem Material fehlt die Spannung, die Komposition ist überdehnt. Die Ego-Architektur dieser Bilder ist zusammenge­brochen, und sie werden zu Echos dessen, was sie einmal waren, was sie sein wollten. Sie befinden sich in einem Zustand des Verfalls. Ein solches beabsichtigtes Scheitern ist eine logische und mögliche Antwort auf die Dominanz der Male­rei. Und es ist eine komplizierte Absicht, die das Gewicht einer politischen Realität trägt – einer Realität, in der einige scheitern dürfen und dafür sogar gefeiert werden, während anderen dieses Privileg verwehrt bleibt. Dies sind keine willkür­lichen, der Welt enthobenen Probleme: Die Malerei ist (immer noch) ein Symbol der Tradi­tion – das „konservative“ Medium, das den Ruf nach der Autonomie der Kunst gegenüber der „politischen“ oder „wirksamen“ Kunst verkör­pert. Verständlich. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Malerei andere Beweggründe hatte. Palme greift diesen seltsamen Diskurs der Gegensätze mit eher unsicheren Gefühlen auf. Die Vergangenheit dringt in die Gegenwart ein – Erinnerungsspuren an das „einst florierende“ Genre, das nun der Angst vor seinen eigenen Gespenstern gegenübersteht. Die Misere der Malerei ist ihr romantisches Temperament, dass sie sich an Dinge klammert, die ihr selbst im Weg stehen.

„I want to believe.“ Dieser Slogan, unter ein Ufo gemalt, steht auf zwei Bildern. Diese basieren auf einem Poster, das im Büro von Fox Mulder hängt, dem Agenten der Kultserie Akte X der 1990er Jahre: Das eine ist eine gemalte Kopie des Posters, das andere seine monochrome Abs­traktion. Woran glauben wir hier eigentlich? An Ausserirdische, die TV-Serie, das Gemälde des Posters in der TV-Serie, oder das Gemälde des Gemäldes des Posters? Es heisst nicht „Ich glau­be“, sondern „Ich will glauben“ – darin deuten sich Zweifel an, aber auch der Wille, sich auf die Fiktion einzulassen, sei es aus einer Wertschät­zung für ihre Spannungsbögen – das Vergnügen, der Nervenkitzel – oder aus einem emotionalen Investment in die Fiktion als Bewältigungsstrate­gie. Verzweifelt an die Möglichkeit der Enthül­lung festhaltend, bleibt nichts anderes als unablässig die immer selben Geschichten fortzu­spinnen. Diese können sich gerade noch genug drehen und wenden, dass wir uns dazu überlisten können, die Erzählung weiterzuführen. Das macht aber nicht unbedingt einen besseren Text aus. Sich zuspitzende Narrative halten den Glau­ben aufrecht, Wunschdenken kann bestehen bleiben, und die Malerei kann diese Fantasien schüren, selbst wenn sie diesen strapazierenden Mechanismus realisiert hat.

Der Gaukler verrät niemals seine Geheimnisse und schlauen Tricks. Ohne Titel (Der Gaukler) schon: Was bei Hieronymus Bosch ein Tisch war, der sein Publikum aufforderte, ihn als das zu sehen, was er ist – das zweite Gesicht des doppel­gesichtigen Trickbetrügers –, ist hier als solcher offengelegt, die Illusion enttarnt. Ein perfekter Spielverderber. Hinter die Funktionsweise des Kunstwerks zu blicken, ist Palmes Markenzei­chen. Aber genau genommen ist das falsch. Denn es geht nicht darum, die Mechanismen zu durch­schauen, sondern in ihnen zu verharren. Eine Illusion, gefangen in der Illusion, eine Geschichte in der Geschichte – selbst wenn das Geheimnis gelüftet wird, bleibt Fiktion, vielleicht eine mit noch klaustrophobischerer Wirkung. 

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Vera Palme (*1983, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main) hatte Einzelausstellungen in der Galerie Buchholz, Berlin; Bizarro, Kopenhagen und New Toni, Berlin und nahm an Gruppenausstellungen u.a. in der Halle für Kunst, Lüneburg; Kölnischer Kunstverein; Biennale für Freiburg 2; Haus am Waldsee, Berlin und Kunsthalle Bern teil. Im Jahr 2023 veröffentlichte sie im Selbstverlag Nuts, eine Sammlung von kurzen Texten und Gedichten. Im Jahr 2020 erhielt sie das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium.

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 Dank geht an die Galerie Buchholz Berlin / Cologne / New York für ihre Unterstützung.