Pauline Curnier Jardin

 
 
 

8. Oktober – 26. November 2023

Pauline Curnier Jardin (*1980 in Marseille, lebt und arbeitet in Rom) bespielt die Kunsthalle Winterthur mit einem Dreiklang: Im Oberlichtsaal thront die Installation Durata di cera (Was man aus Liebe tut) / La notte del 17 novembre in Kombination mit den sechs Keramikreliefs Was man aus Liebe tut, beide für die Ausstellung in der Fondazione Memmo in Rom produziert. Der Seitenlichtsaal wird vollständig von Luna Kino (2022) eingenommen, erstmals in der Galerie ChertLüdde in Berlin ausgestellt.
Der auf Rädern stehende Mittelbau von Durata di cera (Was man aus Liebe tut) / La notte del 17 novembre erinnert an das Fahrgestell einer Güterlore, wie sie im Bergbau verwendet wird. Anstelle eines Containers befinden sich darauf jedoch Halterungen, in denen riesige Kerzen stecken. Die Grösse der Installation und die feierlich brennenden Kerzen sorgen für eine erhabene Atmosphäre: Man denkt an das typische Setting eines christlichen Gottesdienstes, doch könnte die mehrfache Aufreihung verschieden hoher Kerzen ebenso ein Hinweis auf eine okkulte oder intime Zusammenkunft sein.
Die beiden Arbeiten Was man aus Liebe tut und Luna Kino sind in der Ausstellung zwar in verschiedenen Räumen zu sehen, doch gehen sie beide auf eine Curnier Jardins Recherche zum Kino Luna Lichtspiegel zurück, welches sich gegenüber der Galerie ChertLüdde in Berlin befindet. Das 1914 eröffnete Kino überlebte zwei Weltkriege und wurde damit unweigerlich zum Symbol für Widerstand und Hoffnung. Anders als gemeinhin üblich, ist Luna Kino nicht als abgeschlossener, gefangener Raum konzipiert, sondern in Form eines halboffenen Displays, in dem sich die Besucher:Innen relativ frei durch und um die einzelnen Bestandteile wie Eingang, Zuschauerraum und Leinwand bewegen können.
Der Eingang von Luna Kino ist ein Zwitter aus Sternentor und fratzenartigem Gesicht, durch dessen überdimensionierte Mundöffnung man eintritt. Dies geschieht in leicht gebückter Haltung und über ein Podest, in dem sich eine halb darin versunkene, überlebensgrosse weibliche Figur befindet. Mit ihrem zum Schrei geöffneten Mund, der horizontalen Lage und den gespreizten Beinen erinnert die Szenerie unweigerlich an den Moment des Gebärens. Und sorgt dafür, dass der dahinter projizierte Film, in dem in immer dichterer Überlagerung eine zähflüssige rote Flüssigkeit von oben herab über die Kameralinse läuft, augenblicklich mit Blut in Verbindung gebracht wird.
Die installative Umsetzung wird vor allem durch die Referenz Krieg bestimmt: Als Projektionsfläche dient ein an einem Draht befestigtes Laken; der Draht spannt sich zwischen zwei Masten, die in mit Beton gefüllten Eimern verankert sind. Der Eimer ist Attribut und Sinnbild für die Trümmerfrau, die damit bekanntlich ganze Städte auf- und wegräumte. Sie wird in den Nachkriegsjahren zum idealen Motiv der medialen Heroisierung und löst das mit dem Kriegsende obsolet gewordene Bild des männlichen Kriegers nahtlos ab. Ganz allgemein scheinen sich Männer und Frauen in der Kriegslogik bestens zu ergänzen: Wobei allerdings die Männer vor allem für Tod und Zerstörung zuständig sind, die Frauen im Anschluss daran für Geburt und Wiederaufbau.
Die Motivik von Luna Kino setzt sich in den Keramikreliefs von Was man aus Liebe tut fort. Hier tragen die Trümmerfrauen allerdings nicht nur Eimer, sondern auch hochhackige Schuhe und Nylonstrumpfhosen, womit auf eine andere 'typisch weibliche' Dienstleistung verwiesen wird: die Prostitution. Der zunächst poetisch anmutende Titel wird dadurch augenblicklich vergiftet, klingt darin doch der unerhörte Anspruch an, die hier beschriebenen Arbeiten idealerweise unentgeltlich und umsonst anzubieten. Die Frau erfährt in den Kriegs- und Nachkriegsjahren in der Tat eine gesellschaftliche Aufwertung, doch verdankt sich die Besetzung vieler wichtiger Positionen mit Frauen teilweise dem Fehlen von genügend Männern und wird zudem mit einer hochgradig problematischen und diskriminierenden Erwartungshaltung verknüpft.