Rodrigo Hernández

 
 
 

Who Loves You

19. Mai – 28. Juni 2019

Sowohl die einzelnen Werke als auch die gesamten Ausstellungsdisplays von Rodrigo Hernández (*1983, lebt und arbeitet in Lissabon) zeichnen sich stets durch etwas Beispielhaftes und Allgemeines aus; das Fallbeispiel oder die Tagesaktualität interessieren den Künstler nicht, es sei denn sie dienten ihrerseits als Verweis auf eine dahinter verborgene und allgemeingültige Dynamik, Erkenntnis oder Wahrheit. Einen besonderen Stellenwert in Hernández’ Auseinandersetzung mit dem Universalen nimmt der Mensch ein. Innerhalb des gesamten Oeuvres kommt er zwar nur sparsam vor, doch wirkt er für sämtliche Formfindungen zentral: Ob als Hinweis auf die Anwesenheit eines denkenden und fühlenden Wesens, oder als Referenzgrösse für Mass und Proportion.
Auch im Oberlichtsaal der Kunsthalle Winterthur steht er im Mittelpunkt, und zwar im handgetriebenen Wandrelief Who Loves You (2019), das knapp überlebensgross ein tanzendes Paar zeigt. Im Tanz manifestiert sich seit jeher die archaische und selbstexpressive Geste eines Individuums, egal ob sie im Dienste einer rauschhaften Selbstentäusserung oder der Partnerwerbung geschieht; gleichzeitig basiert insbesondere der Paartanz auf einem komplizierten Regelwerk, das nur durch intensives Training in eine gemeinsame, anmutige Performance überführt werden kann. Das im Tanz sich umarmende Paar ist Sinnbild der Liebe, doch ebenso eine Chiffre für die Verschmelzung von Archaik und Kultiviertheit sowie der sichtbare Beweis für die Anwesenheit von rationaler wie emotionaler Kompetenz.
Als Kontrast zum schummrig ausgeleuchteten Oberlichtsaal steht im freundlich hellgelb ausgeleuchteten Seitenlichtsaal das kleinmassstäbliche Modell eines Raumschiffs. Unweigerlich setzt man tanzendes Paar und Raumschiff zueinander in Beziehung: Geniessen die beiden den letzten Abend in ihrer alten Welt, ehe sie am nächsten Morgen in eine neue aufbrechen? Oder ist es gerade umgekehrt und sie freuen sich in der neuen Welt bereits über die geglückte Ankunft? Und weshalb müssen oder mussten sie ihre alte Welt überhaupt verlassen?

Oliver Kielmayer