Valentina Triet
Of manners, of trips

14. Dezember 2024 – 23. Februar 2025
Eröffnung 13. Dezember, 18:30 Uhr

 

Valentina Triet, Provider in Spring Haute Couture 2007, 16:9, 14:08, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring 1998, 4:3, 17:15, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall 2003, 4:3, 18:31, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring and Summer 2024, 16:9, 10:46 & Provider in Fall Haute Couture 1995, 4:3, 02:24, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall and Winter 1984/1985, 4:3, 00:43, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring 2006, 4:3, 13:59Provider in Spring and Summer 2007, 4:3, 08:55, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring 2006, 4:3, 13:59, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall 2003, 4:3, 18:31, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall Haute Couture 1995, 4:3, 02:24 & Provider in Fall Haute Couture 1996, 4:3, 11:28, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall 2003, 4:3, 18:31Provider in Spring and Summer Haute Couture 2007, 4:3, 08:55, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring Haute Couture 2007, 16:9, 14:08, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring Haute Couture 2007, 16:9, 14:08, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall 2007, 4:3, 17:37, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall and Winter 1995, 4:3, 16:49, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Fall 2003, 4:3, 18:31, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Valentina Triet, Provider in Spring 1996, 4:3, 19:37, in Of manners, of trips, Kunsthalle Winterthur, 2024. Foto: Cedric Mussano

Ende der 1950er-Jahre sorgte die britische Modedesignerin Mary Quant bei einer Couture-Show in St. Moritz für Aufsehen: Inmitten von opulenten Ballkleidern und sanfter Musik, die der damaligen Laufsteg- Etikette entsprachen, präsentierte sie eine Kollektion mit kurzen Säumen und Lederstiefeln, begleitet von rhythmisch-nervösem Jazz. „Ich möchte Girls, die ihre eigene Realness übertreiben“, erklärte Quant, „und nicht die hochmütige Unwirklichkeit der Couture- Models.“ Quant gilt als eine der zentralen Figuren der europäischen Modewelt der 1950er-und 1960er-Jahre und trug massgeblich zum ästhetischen Wandel der damaligen Mainstream-Modenschauen bei. Die Beschreibung – und Vermarktung – ihrer Models und Kleider mit dem Begriff Realness zeugt von ihren Bezügen zum Streetstyle, zur Schwarzen Kultur und den sexuellen Befreiungsbewegungen jener Zeit.

Of manners, of trips zeigt solche Momente der Störung und Verfremdung, in denen das Spektakel mit dem Unbekannten spielt und um seine Wirkung weiss. Valentina Triet präsentiert fast dreissig Videos, die gefundene Aufnahmen von Fashionshows der 1980er Jahre bis heute – von Labels wie Dior, Thierry Mugler oder Off-White – in verpixelte Bilder verwandeln. Abstrakte Farbfelder lassen Stil und Inszenierung der Kollektionen nur erahnen, Bewegung und Tempo der Bildraster suggerieren den schnellen Walk der Models auf dem Runway, Lichtblitze signalisieren die ständigen Schnappschüsse der Presse. Während sich die visuellen Elemente der Show auflösen und buchstäblich aus dem Fokus geraten, bleibt der Soundtrack unverändert laut und dröhnend scharf. Ist üblicherweise das Model der Träger, oder vielmehr die Trägerin, des Begehrens nach dem Objekt – sie präsentiert die Kleidung und verkörpert den generellen Look der Kollektion – stellt Triet den Sound als tragendes Medium des Modeereignisses und seiner Anziehungskraft heraus. Ob maschinenartige Klänge, klassische Musik oder Popsongs: Industrieedge, Hochkultur, Rebellion der Subkultur und Spass des Mainstreams sind Genres, die den Wert eines bestimmten Produkts oder Prestiges beschwören.

Valentina Triet interessiert sich für die Haute Couture-Fashionwelt als ein Ort, an dem sich Avantgarde und Konsumkultur begegnen. Sie verfremdet die Bilder des Laufstegs, untergräbt die Performance, die zu ihrer Kommerzialisierung beiträgt, und damit auch die Konventionen, die definieren, was als geschmackvoll gilt und was nicht. In den 1960er Jahren sprengten Fashionshows und die Marketingindustrie allgemein die Grenzen dessen, was und wie etwas zum Trend wird. Der sensorische Schock, den Quants Modeschau ausgelöst hat und die Mittel, die seitdem auf jede vorstellbare Weise eingesetzt werden, um das Begehren der Zuschauer:innen, Kritiker:innen und Konsument:innen zu entfachen und sie effektiv zu beeinflussen, werden hier auf ihre rohen Bestandteile reduziert: Licht, Farbe, Rhythmus, Lautstärke. Ohne ein konkretes Produkt, an dem man sich festhalten kann, bleibt der Körper seinen geschärften Sinnen ausgeliefert.

Aber es ist komplizierter als die oft grossen künstlerischen Gesten der „antikapitalistischen Kritik“. Was ist mit der Fähigkeit des Kommerzes, alles Neue und Fremde in ein Produkt zu verwandeln? Ein bittersüsser Moment für viele, die sich schon lange nach dem Rampenlicht gesehnt haben. Was ist die Verachtung gegenüber dem Glamour anderes als eine privilegierte Haltung, in der er nicht gebraucht wird – die Zurückhaltung als Inbegriff der Bescheidenheit unterdrückt wirksam die Künstlichkeit der Schönheitsindustrie. Der Körper ist nicht natürlich, er produziert Affekte und affiziert. Die Modeindustrie und ihre Hauptakteur:innen stacheln zur Imitation an. Die Installation Of manners, of trips stellt diese Tendenz in Frage, indem sie die Unmittelbarkeit visueller Referenzen verschwimmen lässt, und gleichzeitig den verführerischen und einnehmenden Mechanismus solcher Shows verdeutlicht.

Insgesamt umfassen die Videos rund dreieinhalb Stunden Filmmaterial. Triet formt das Filmmaterial zu einem abstrakten Farbraster, zu einem ästhetischen Bild verschwommener Information, das die Struktur des Mediums Video in den Vordergrund stellt und an Gesten wie den Einsatz von Flickereffekten im strukturellen Film und deren stroboskopische Wirkung erinnert. Die vier Projektionen der Installation sind so choreografiert, dass sie sich in den beiden Galerien der Kunsthalle abwechseln oder vervielfachen. Der Effekt ist tranceartig und desorientierend. Wenn die im Ausstellungstitel angesprochenen „manners“ eine Reihe von Regeln bezeichnen, die angemessenes Verhalten, Konformität, definieren, dann könnte der Begriff „trips“ eine Art Gegenverhalten suggerieren – ein Ausbruch aus dem Alltäglichen, ein Mittel zur Überwindung der Grenzen des Körpers, Ekstase. Diese Interpretation impliziert jedoch eine Gegenwart, die zugunsten eines idealen Zustands aufgegeben wird, und verkennt, dass Erleuchtete nur glauben, die Welt zu verstehen. Es ist das Subjekt einer Kultur, in der die Erfahrung König ist.

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Valentina Triet (*1991 in Winterthur, lebt und arbeitet in Wien und Zürich) hatte Einzelausstellungen bei Marble, Brüssel; OxfordBerlin, Berlin; Neuer Essener Kunstverein, Essen, und FELIX GAUDLITZ, Wien. Zudem war sie an zahlreichen Gruppenausstellungen beteiligt, unter anderem bei Galerie Neu, Berlin; Streetwater, Berlin; Alienze, Wien; The Wig, Berlin, und im mumok, Wien.

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Die Künstlerin bedankt sich bei: Artjom Astrov, Meret Bhend, Samuel Bich, Karolin Braegger, Leonia Brenner, Jakob Buchner, Philipp Farra, Felix Gaudlitz, Richard Hilbert, Chantal Kaufmann, Demian Kern, Jonida Laçi, Simon Lässig, Andreas Lumineau, Vera Lutz, Sveta Mordovskaya, Lucie Pia, Ben Rosenthal, Marina Sula, Max Wuchner, Min Yoon, Julia Znoj.

Die Kunsthalle Winterthur bedankt sich bei: Pro Helvetia, Stiftung S. Eustachius, Stiftung Erna und Curt Burgauer, Videocompany.ch, FELIX GAUDLITZ, Wien, Fotomuseum Winterthur, Kunstmuseum Winterthur, Larrea Produktion, Perplex Plus AG, Anders Guggisberg, Sophia Roxane Rohwetter and Catherine Schelbert.

Die Ausstellung wird unterstützt von Pro Helvetia, der Stiftung S. Eustachius, der Stiftung Erna und Curt Burgauer, Videocompany.ch und FELIX GAUDLITZ, Wien.

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Literaturnachweis: Elspeth H. Brown: Work: A Queer History of Modeling